Die Selbstliebe

sich selbst mögen und verstehen

Es geschah Mitte der 1950er Jahre. Erich Fromm, Psychoanalytiker und Sozialpsychologie, glaubte entdeckt zu haben, dass die Liebe schwindet. Um sie zu retten, sann er auf Abhilfe, schrieb ein Buch über die „Kunst des Liebens“ und brachte die Selbstliebe in die Welt. So sehen es jedenfalls die Psychotherapeuten. Sie sind seither mit Fromm der Meinung, Liebe müsse oder könne man erlernen, und die Selbstliebe sei dabei die grundlegende Voraussetzung. Die Betrachtungen waren für die damalige Zeit (1956) absolut sensationell, und die die Begründungen wurden sorgfältig hergeleitet – und dies keinesfalls ausschließlich auf psychologischer Basis. Doch Fromms Problem bestand darin, dass er glaubte, die Gesellschaft mithilfe der Selbstliebe, wie er sie verstand, positiv verändern zu können.

Fromm war allerdings keinesfalls der Erste, der die Selbstliebe als Prinzip hervorhob. Schon im 18. Jahrhundert hatte Claude Adrien Helvétius geschrieben:

Alle Thätigkeit entspringt aus der angebornen Selbstliebe …. Der Nutzen bestimmt den Wert der Handlungen; da aber Nutzen und Schade relative Begriffe sind, so gibt es keine unbedingt guten oder schlechten Handlungen.

Nach Meyers Lexikon, gegen 1890.

Die Selbstliebe ist demnach angeboren, und in ihrer Anwendung zeigt sich, ob sie gute oder schlechte Resultate erbringt. Diese Auffassung klingt sehr modern – denn die Selbstliebe als solche bewirkt gar nichts. Erst durch den eigenen Umgang mit ihr kann Gutes wie auch Schlechtes bewirkt werden.

Ergänzend sollte ich noch sagen: „Selbstliebe“ ist ein ausgesprochen schwammiger Begriff, ungefähr genau so schwammig wie alle anderen Begriffe, die wir mit „Liebe“ zusammenfassen. Die Vorstellung, dass es einen Ort in unsrem Denken oder in unserer Psyche gibt, an dem die Selbstliebe zuhause ist, kann nur als grober Unfug bezeichnet werden.

Selbstliebe als natürliches und ökonomisches Prinzip

Wenn wir das gelten lassen, kommen wir schnell zur Wahrheit:

Sich selbst zu lieben ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, denn der Selbsterhalt des Erwachsenen funktioniert gar nicht ohne sich in einem gewissen Rahmen „selbst zu lieben“. Zudem erkennen wir einen ökonomischen Vorteil: Wer sich selbst ausreichend liebt, kann auch davon abgeben, und wer davon abgeben kann, der gewinnt auch die Liebe anderer. Der Vorteil liegt im Zugewinn aller, die an dieser Liebe beteiligt sind. Sicher gibt es einen Unterschied zwischen „Selbsterhalt“ und „Selbstliebe“, den man auch an der Maslowschen Bedürfnispyramide ablesen kann: Erst kommt die Verwurzelung im Sein, dann kommt die Liebe als Komponente hinzu.

Das alles ist ausgesprochen erprobt, angesehen und mit genügend Wahrheitsgehalt befüllt. Und ich stimme auch Mia Leijssen zu, wenn sie sagt:

„(Die Selbstliebe …) ist eine innere Haltung, durch die eine Person unter allen Umständen sich selbst gute Gesellschaft ist und den eigenen Wesenskern schätzt.“

“The Wold Book of Love”

Oder mit einfacheren Worten: Wenn das Leben, das du ja geschenkt bekommen hast, für dich gut ist, dann liebst du dich.

Die Frage unter Psychotherapeuten wäre nun: Wie kommt man dahin, sich selbst zu lieben?

Veränderungen – helfen die Meinungen der Psychologie?

Wer will, kann sich durch einige Hundert deutschsprachige Webseiten wühlen – und auf allen werden Beratungen, Gruppen, Seminare und bisweilen auch Bücher angeboten. Zumeist werden zwischen drei und 30 „Schritte“ oder Methoden angeboten, um sich auf den Weg zu machen. Offenbar lassen sich aus der Selbstliebe also Umsätze erzielen.

Doch ist dies alles überhaupt sinnvoll und richtig? Sind die Defizite wirklich so groß, ist das Bedürfnis so tief verwurzelt? Existiert wirklich ein Mangel, der behoben werden muss? Und ist dazu eine psychologische Beratung nötig?

Die Natur der Psyche

Was wir zuerst ansehen müssen, ist niemals, was Psychotherapeuten zu einem inneren Zustand sagen oder meinen. Wir sind Lebewesen, und allen Lebewesen ist angeboren, über ausgesprochen sensible und wirksame Rückkoppelungssysteme zu verfügen, die unser körperliches wie auch „psychisches“ Überleben sichern. Oder um es mal mit einem Therapiekritiker zu sagen:

Viele seelische und körperliche Symptome, die auf den ersten Blick auf eine Erkrankung schließen lassen, stellen sich im Licht der Evolutionsforschung als archaische Mechanismen heraus, die den Menschen gesund erhalten.“

(Jörg Blech: Die Psychofalle)

Probleme mit der Selbstliebe?

Echte Probleme in der Psyche entstehen nahezu ausschließlich, wenn dein riesiger Vorrat an möglichen Lösungen, die dir die Natur und die Erfahrung mitgegeben hat, aufgebraucht ist. Das ist üblicherweise der Fall, wenn dir ins Bewusstsein dringt: So geht es nicht weiter – etwas muss sich ändern. Nehmen wir an, du bemerkst, dass deine ohnehin schwache Selbstachtung nachlässt, dass dein empfundener Selbstwert absinkt und du mit deinen Gefühlen auf „keinen grünen Zweig“ mehr kommst – erst dann ist es soweit, dass du dir Sorgen machen könntest.

Selbstliebe:  Überfluss und Mangel

Kommen wir dazu noch mal zurück zur Liebesökonomie. Sie ist darauf angelegt, durch die Abgabe von Liebe an die Umwelt auch einen eigenen Zuwachs an Liebe zu erzielen. Solange das einwandfrei funktioniert, sei es mit einigen Lücken oder kontinuierlich, treten sogenannte „positive kybernetische Spiralen“ auf, die man auch als „motivierende Erfolge “ bezeichnen könnte.

Wenn diese Strategie schief geht, tritt das Gegenteil ein: Du kannst keine Liebe abgeben, wie du nicht genug davon auf dem „Liebeskonto“ hast. Du wirkst daher bedürftig, was zumeist schädlich für deine Ausstrahlung auf andere ist. Das bedeutet leider aber auch, dass du  keine Liebe gewinnen oder „zurückbekommen“ kannst. Wenn du dann in eine „negative Spirale“ gerätst, verkümmert dein Liebespotenzial. Wer einmal in diesem „Teufelskreis“ steckt, kommt nur schwer heraus, aber es gibt einen Trost für alle anderen: Zumeist kommt es gar nicht erst soweit.

Psychologie – kompetent für die Liebe?

Ob man die Selbstliebe oder die Gewinnung der Liebe anderer durch „Methoden, Techniken und Verfahren“ der Psychologie erlernen kann, ist höchst zweifelhaft, schon allein deswegen, weil „Selbstliebe“ kein genau definierter Begriff ist. Doch es gibt Hoffnung, denn viel wichtiger als jedes Verfahren ist die sogenannte „Selbsterfahrung“, die sich stets mit der Frage beschäftigt: „Was spielt sich eigentlich wirklich in mir ab?“ oder „Wie empfinde ich die Situationen, in der ich bin, gerade jetzt?“

Diese Sichtweise ist übrigens fest in der sogenannten „Humanistischen Psychologie“ verankert. Demnach kannst du dich in der Situation, in der du dich befindest, jederzeit selbst fragen: „Was tue ich JETZT gerade? Und „Was fühle ich IM MOMENT dabei?“

Nehmen wir jetzt noch an, dass die Selbstliebe eine Naturkraft ist, die immer noch in dir wohnt, auch wenn sie gerade verschüttet ist, dann hättest du alleine durch solche Fragen die Chance, sie wieder freizulegen. Sie ist, wie ich meine, sehr realistisch.

Literaturhinweise: Fromm: Die Kunst des Liebens, , zuerst New York 1956, Blech: Die Psycho-Falle, Frankfurt 2014, The World Book of Love, Köln 2013, Meyers Konversationslexikon, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892. Die Hinweise auf die humanistische Psychologie beziehen sich auf Werke von Carl Rogers und Frederic Perls.

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