Wovon handelt dieser Artikel?
Ein Teil dieses Artikels ist eine historische Betrachtung – ein anderer Teil befasst sich kritisch mit dem Begriff – und letztlich verweist er auf Forschungen der italienischen Psychiaterin Donatella Marazziti. Sie war eine der Ersten, die sich gegen die „Romantisierung“ der Liebe wandte, weil sie erkannt hatte, dass diese „Liebe“ möglicherweise auf einer „biochemischen Fehlreaktion“ beruhte.
Worüber schreibt und forscht Donatella Marazziti?
Die Psychiaterin ist fasziniert von der Liebe und versucht, ihr Mysterium zu erklären. Sie glaubt nicht, dass sie das „Wunder der Liebe“.
Die „romantische Liebe“, so, wie man sie in Deutschland versteht, ist eine besondere Art der Sinnlichkeit, die schwärmerisch und idealisierend dargestellt wird. Besonders die Literaturwissenschaftler können seitenlang über die „Romantische Liebe“ schwadronieren, doch zu welchem Zweck?
Sehen wir uns die „Romanische Liebe“ einmal genau an, dann versuchten die Menschen im späten 18. Und frühen 19. Jahrhundert, dem Gedanken der Aufklärung etwas entgegenzusetzen. Diese Weltanschauung und der damit verbundene literarische Stil wurde dann „Romantik“ genannt.
Diese Literaturrichtung und Lebensauffassung versuchte, der Epoche der Aufklärung etwas entgegenzusetzen, was sie „Romantik“ nannten. Der „Brockhaus“ äußert gegen 1894 ein gewisses Verständnis dafür (1):
Die Romantik ist eine natürliche und berechtigte Reaktion des Geistes gegen einseitige Aufklärung … und dürre zersetzende Verstandesmäßigkeit, die den Bedürfnissen des Gemüts- und Fantasielebens nicht gerecht wird. So nennt man romantisch Empfindungen, die die Bahnen des Alltagslebens in gesteigerter ahnungsvoller, fantastischer, ideal oder gemütlich erregter Stimmung verlassen. Das ganze große Reich des Wunderbaren gehört der Romantik.
Retrobibliothek, Brockhaus
Dies entsprach ganz der Auffassung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die sinnliche Liebe, die in dieser Form nur sehr wenige Menschen genießen konnten, vor allem aber so gut wie keine unverheirateten Frauen, wurde überhöht und verfremdet, um schließlich in der Groschenliteratur und im Schlager zu versinken.
Die Wahrheit über “Romantische Liebe”
Erst die moderne Gehirnforschung führte dazu, die Idee von einer verklärten, sinnlichen Liebe, die in uns selbst kreist, aber keinen Bezug zum Körper hat, aufzugeben.
Weil aber die „romantische Liebe“ so wundervoll vor Sehnsucht und Nostalgie trieft, wird sie weiterhin beschrieben und besungen, sozusagen als „Zuckerstückchen“ für Menschen, die sich aus der Realität herausträumen wollen, was der Brockhaus von damals ja für „berechtigt“ hielt.
Das kann alles so stehen bleiben, solange man die „Romantische Liebe“ nicht als „gegeben“ hinnimmt. Sie ist und bleibt eine Verfremdung authentischer Gefühle, die versucht, die Liebe schwärmerisch und idealisierend auf einen Götzenaltar zu heben.
Donatella Marazziti – romantische Liebe als Gefahr?
Die italienische Neurobiologin und Professorin für Psychiatrie Donatella Marazziti ist eine der Wissenschaftlerinnen, die skeptisch gegenüber der romantischen Liebe sind. Es ist nicht eben viel, was sie über die Liebe zu sagen weiß, aber das, was sie sagt, ist ein Donnerschlag: Wer sich in den romantischen Aspekten der Liebe verliert, ist psychisch gefährdet. (2)
Um Ihnen dies zu erklären, muss ich ein wenig ausholen: Die Funktionen unseres Gehirns sind nicht einfach „reine“ Prozesse, in denen wir Gedanken entwickeln, sie dann abwägen und schließlich Entscheidungen fällen. Insbesondere unsere Gefühle werden weitgehend von biochemischen Prozessen gesteuert, die im Gehirn angeregt werden und die dann zur Produktion von Botenstoffen (Neuropeptide) führen. Wie die Gehirnfunktionen dabei tatsächlich ablaufen, ist noch völlig unbekannt. Man weiß aber, dass sich unser Denken, Fühlen und Verhalten verändert, wenn diese Stoffe ausgeschüttet werden – und auch, dass sie nicht bei allen Menschen exakt gleiche Reaktionen auslösen.
Wie ihr sicher wisst, wen ihr schon einmal „bis über beide Ohren“ verliebt wart, befinden sich unsere Gedanken, Empfindungen und Handlungen in einem Ausnahmezustand, wenn wir volkstümlich gesprochen, „verliebt sind“. Ohne hier die biologischen Beweise vorzulegen, können wir sagen, dass unser Gehirn dabei „vernebelt wird wie von einer Droge“. Der Volksmund sagt dann: „Wir sehen alles wie durch eine rosarote Brille“.
Zurück zu Donatella Marazziti: Sie entdeckte 1996, dass romantisch verliebte Menschen an einer biochemischen Abweichung litten, die auch bei Zwangsstörungen (Zwangsneurosen) auftritt, und sie bewies dies anhand des Serotoninmarkers im Blut der Patienten.
Daraus schloss sie wenig später, was heute als allgemeingültige Erkenntnis gilt: Botenstoffe beeinflussen in der Liebe sehr stark unsere Empfindungen. Sie schrieb dazu sehr genau: «Die Liebe ist nicht „nur“ das Ergebnis verschiedener molekularer und biologischer Systeme, sondern „auch“.»
Was ergibt sich nun daraus, was über die Biologie hinausgeht?
1. Es ist sinnvoll und förderlich, sich zu verlieben.
Laut Donatella Marazziti beweisen die Forschungen, dass Liebe im Gehirn zwar einen ungewöhnlich hohen Stress erzeugt, dass es aber letztlich förderlich für unser Wohlbefinden ist, sich zu verlieben und Beziehungen einzugehen. Also: Nicht hinterfragen, sondern handeln.
2. Romantische Liebe ist fragwürdig.
Die romantische Liebe wird oftmals aus fragwürdigen Quellen, wie etwa Märchen, Kitschliteratur und Liebesfilmen gespeist. Das ist ein alter Hut. Sie kann aber auch eine biochemische Abweichung sein, vor allem dann, wenn jemand zwanghaft an einer Person hängt und nicht „loslassen“ kann.
3. Liebe erfordert Wachsamkeit.
In der heutigen Gesellschaftsordnung gehen wir davon aus, dass jeder in erster Line für sich selbst verantwortlich ist. Deshalb obliegt es uns selbst, nur für uns Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und vor allem die Bereitschaft zur Veränderung mitzubringen. Man könnte auch sagen: Wie müssen uns des „Ausnahmezustands“ bewusst werden, der uns in der Liebe dann und wann befällt.
Ein Mysterium, aber keine Romantik-Balzplatz
Für diejenigen, die der Forschung skeptisch gegenüberstehen, noch ein Nachwort der Forscherin von 2012: (3)
Liebe ist immer noch ein großes, wenngleich faszinierend Mysterium, das die Neurowissenschaft erst zu enthüllen beginnt. Wir glauben, dass unser Verständnis für die biologischen Wurzeln niemals das Wunder und das Glücksgefühl zum Verschwinden bringt, das uns erfüllt, wenn wir lieben und geliebt werden. Vielmehr wird es unser Potenzial zu lieben erweitern und unsere sozialen Beziehungen verbessern.
Die Grundlagen der Liebe sind offenbar ein fest programmierter Bestandteil unseres Gehirns, und fraglos dient sie in erster Linie dazu, uns zur Fortpflanzung aufzufordern. Dennoch sehen wir gegenwärtig nicht einmal die Sitze des Eisbergs. Inzwischen gehen viele Forscher damit an die Öffentlichkeit, anhand der Ergebnisse der Magnetresonanztomografie bereits feststellen zu können, welche Prozesse im Hirn stattfinden. Das ist völlig vermessen, weil wir damit nicht feststellen können, in welcher Weise unsere alltäglichen Gedanken von Botenstoffen manipuliert werden können. Die Grundlagen stimmen allerdings: Liebe ist im Ursprung, nicht aber im Ergebnis, eine programmtechnisch gesteuerte biochemische Reaktion.
Für Dich: Wie gehst du um mit der Romantik?
Es wäre gut, wenn du versuchen könntest, deine Gedanken über magische Prozesse, Fügungen und Schicksale sowie weitere „romantische“ Gedanken von deiner Liebe abzukoppeln. Romantik ist für viele ein „tolles Gefühl“, aber es zahlt sich nicht aus, sie mit der Realität zu vermischen. Übrigens ist die „romantische Liebe“ auch keine direkte Verwandte der Verliebtheit, denn die „Romantische Vorstellung“ ist nicht ursächlich an „tatsächlich existierende Personen“ gebunden, sondern eher an schwärmerische Variationen der Sinnlichkeit.
Quellen: (1) Retro-Lexikon, (2) The World Book Of Love, (3) Wissenschaftsartikel. Bild nach einer Illustration von Max Vogel.