Liebe und Ehe im Wandel der Zeit

Hat die Liebe etwas mit der Ehe zu tun? Oder die Ehe mit der Liebe? Aus heutiger Sicht würden wir alle wohl aufseufzend sagen: „Ja, selbstverständlich!.“

Doch die Liebesheirat oder Neigungsehe ist eine Erfindung der Neuzeit, auch wenn es schon zuvor einzelne Schilderungen von glutvollen Liebespaaren gab, die alle Konventionen umschifften. Begonnen hatte alles gegen Ende des 18. Jahrhunderts, allerdings sehr theoretisch, literarisch und philosophisch, als immer mehr Autoren das Recht des Individuums auf die freie Wahl der Partner untereinander betonten.

Liebesheirat – nur als Fantasie

Diese Ideen konnten sich allerdings zunächst nicht behaupten, sondern gingen im Laufe des 19. Jahrhunderts lediglich in die Trivialliteratur ein. Damit unterstützte man die Fantasien junger bürgerlicher Frauen auf „romantische Begegnungen“, wie wir sie typischerweise auch in Märchen finden. Wirkliche „Liebesheiraten“ oder „Neigungsehen“ entstanden in Deutschland erst im 20. Jahrhundert.

Das Bild der Ehe wandelt sich nur langsam

Die Idee war ungefähr so: In der Blütezeit des Bürgertums war die „Konvenienzehe“ üblich, also eine Ehe, die auf einem gesellschaftlichen Status fußte.  In der Praxis suchte der Vater oder Vormund den zukünftigen Gatten aus und verhandelte mit ihm die Konditionen, unter denen die Ehe geschlossen wurde. Ein wesentlicher Bestandteil war die Mitgift in einer beträchtlichen Höhe, denn der Gedanke hinter der „Übergabe der Tochter“ bestand darin, dass sie dem zukünftigen Ehemann finanziell nicht zur Last fallen sollte. Als die Vermögen des Bürgertums verfielen und die „guten alten Zeiten“ gegen 1920 restlos in sich zusammenbrachen, trat nach und nach die „Versorgungsehe“ an ihre Stelle – das heißt, Frauen heirateten, um ein Leben lang vom Ehemann versorgt zu werden. Ein schwacher Trost war, dass viele Brauteltern noch eine „Aussteuer“ in Geld oder Haushaltswaren ansammelten. Dies kam vor allem nach der 19hunderter Jahrhundertwende in Mode. Immerhin waren dafür nach heutigem Geldwert zwischen 10.000 und 15.000 Euro erforderlich – und das Ziel hatte sich nicht verändert:

„Eine derart ausgestattete Frau war (…) für die Dauer ihres Lebens von Anschaffungskosten befreit.“

Ingeborg Weber-Kellermann, Frankfurt 1974 (1)

Die Liebe kommt in die Ehe

Nach und nach wandelten sich die unter gesellschaftlichem Zwang geschlossenen Ehen dann aber doch in „Heiraten aus Liebe“. Auch dieser Umstand hatte neben emanzipatorischen und liberalen Hintergründen wieder wirtschaftliche Ursachen. Grund war zunächst die in den 1970er Jahren in Deutschland einsetzende dauerhafte Berufstätigkeit junger Frauen. Zuvor hatte man den Mädchen gesagt: „Du brauchst keinen Beruf, der dich ernährt, du heiratest doch sowieso.“ Die stets besonders konservative Versicherungsbranche bot damals für Jungen „Ausbildungsversicherungen“, für Mädchen aber „Aussteuerversicherungen“ an.

Spätestens im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wurden Frauen dann im Rahmen einer neuen Emanzipationsbewegung ermutigt, Erfolg versprechende Studiengänge oder einträgliche Berufe einzugehen.

Die Ehe aus reiner Liebe, also ohne gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen oder ökonomischen Zwang ist in Westdeutschland ein Phänomen der sogenannten „Nachkriegszeit“, in der die meisten Reste konservativen Gedankenguts über Frauen hinweggepustet wurden.

Ehe heute und vor 100 Jahren

Kommen wir zurück auf den Anfang dieses Artikels. Für uns ist selbstverständlich, dass wir um der Liebe willen heiraten und weil wir für die Zukunft mehr planen als nur „irgendein Paar“ zu sein. Doch noch vor etwas mehr 100 Jahren war dies keinesfalls selbstverständlich. Wir befinden uns dann im ausgehenden Goldenen Zeitalter des Bürgertums. Der Wandel kündigt sich an, hat sich aber noch nicht verfestigt. Am 1. Januar 1900 trat das erste Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft, das auch die Rechte in der Ehe für Frau und Mann regelte. An dem Verlangen der Eltern, eine Konvenienzehe, also eine „standesgemäße“, mit Verträgen abgesicherte Ehe einzugehen, änderte dies zunächst nicht viel. Man hatte als Brautvater zwar die Zukunft der Tochter im Auge, sah diese aber überwiegend aus ökonomischer und sozialer Sicht. Die romantische Liebe stand nur in den Büchern, die körperliche Liebe galt ohnehin als eine Pflicht – und „wohlerzogene“ Frauen hätten ohnehin kaum Verlangen danach, so die offizielle Lesart. (2) Das will ich noch mit einem kurzen Buchausschnitt aus jener Zeit untermauern (3):

„Dass man heiraten muss, das ist selbstverständlich, das ist der Ruheposten der Versorgung … Dass sie sich einem Manne hingeben soll, aus dem sie sich gar nichts macht, ist ihr sehr gleichgültig. Einen Mann, der einen nicht reizt? – Zum Lieben niemals! Zum Heiraten – warum nicht? Von dem eigentlichen Akt haben sie ja em wenigsten, der ist ihre Pflicht“

Dass man heiraten muss, das ist selbstverständlich, das ist der Ruheposten der Versorgung … Dass sie sich einem Manne hingeben soll, aus dem sie sich gar nichts macht, ist ihr sehr gleichgültig. Einen Mann, der einen nicht reizt? – Zum Lieben niemals! Zum Heiraten – warum nicht? Von dem eigentlichen Akt haben sie ja am wenigsten, der ist ihre Pflicht.

(Aus dem Briefroman „Nixchen“, 1899. Meine Ausgabe Wien 1904.)

Wer aus der Sichtweise etwas Zynismus herausliest, liegt nicht falsch, dennoch verdeutlich dieses Zitat die Situation der „höheren Töchter“ um 1900 wie kein anderes.

Liebe in der Ehe – immer noch ein Thema

Liebe und Ehe? Nahezu die gesamte heutige Literatur aus psychologischer Sicht beschäftigt sich damit, wie wir Liebe, Lust oder Leidenschaft während der Ehe erhalten können. Das ist sicherlich nicht falsch. Und doch sollten wir bedenken: Vor etwas mehr als 100 Jahren wussten die Menschen noch nicht einmal, ob sie solche Gefühle in der Ehe überhaupt finden würden. Du kannst froh sein, heute zu leben und deine Entscheidungsfreiheit genießen zu dürfen.

Quellen: (1) “Die Deutsche Familie” Frankfurt 1974, (2) Krafft-Ebing , “Psychopathia sexualis”, 1886 (3) Nixchen (Wien 1904) von “Hans Kahlenberg”, eigentlich Helene Keßler.

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