Liebe: Unterschiedlich sein oder gleich sein?

Keine Wahl außer gleich?

Der Volksmund kennt zwei Aussprüche, die einander auf den ersten Blick widersprechen:

Gleich und Gleich gesellt sich gerne.

Volksmund

Und

Gegensätze ziehen sich an.

Volksmund

Obgleich es keine eindeutige Definition von „gleich sein“ oder „gegensätzlich sein“ gibt, hat die Soziologie diese Aussagen aufgegriffen und zwei Theorien entwickelt.

Begriffe: Homo- oder Heterogam?

Demnach wird die Gleichheit der Partner innerhalb einer Ehe mit „Homogamie“, die Verschiedenheit hingegen mit „Heterogamie“ bezeichnet. Da die Begriffe relativ unbekannt sind, spricht man auch von einer Gleichheitshypothese einerseits und einer Verschiedenheitshypothese andererseits.

Nach dieser relativ komplizierten Einleitung – was ist damit überhaupt gemeint?

Die Gleichheit

Unter Gleichheit verstand man zu Anfang vor allem den „Stand“ der Partner, also Adel, Bürger, Bauern, Handwerker, Beamte und Arbeiter. Später werden dann neben der Abstammung auch „Bildungsniveau, sozialer Status, finanzielle Lage, Hobbys, politische Neigung und Religion“ genannt.

Die Psychologie geht einen Schritt weiter und versucht, gleiche Persönlichkeitsmerkmale zu ermitteln. Dazu werden „geheime“ Psychorezepte verwendet, aber auch bekannte Verfahren wie Myers-Briggs oder das Fünfaktorenmodell („Big Five“).

Das Wort „Gleichheit“ wird gerne durch „Ähnlichkeit“ abgemildert, dann heißt es „Partner mit ähnlichen Eigenschaften“.

Die Ungleichheit

Ungleich zu sein heißt nicht, gegensätzlich zu sein. Diese grobe Vereinfachung erschwert die Diskussion über „besten Eigenschaften“ für Paare erheblich. Ungleich können Personen im Alter, in der Herkunft, der Bildung oder im Einkommen sein, um die wichtigsten Punkte zu nennen – und das muss keine unmittelbaren Konsequenzen haben. Dennoch wird ständig versucht, aus der „Verschiedenheit“ eine „Gegensätzlichkeit“ zu konstruieren – vor allem in der Psychologie.

In Wahrheit ist Ungleichheit ein Phänomen, das unglaublich viele Vorteile mit sich bringt, denn sie wirkt integrierend und fördert damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Schweizer Psychoanalytiker Jürg Willi widmet dem Thema in seinem Buch „Die Zweierbeziehung“ viele Seiten, die beweisen, dass die Annahme von „Gegensätzen” in Paarbeziehungen weitgehend willkürlich ist.

Wenn wir dennoch über Gleichheit und Gegensätze sprechen müssen, dann können wir dies so sehen:

Was wir wissen sollten

Der Aufstieg in eine „höhere“ Bildungsklasse oder soziale Gruppe steht jedem offen, der sich in ihr auskennt und der sich anpassen kann.

Ideologien, Religionen oder ethnische Herkünfte spielen in weiten Teilen der Gesellschaft längst nicht mehr die Rolle, die ihnen früher zugemessen wurde. Noch 1950 wurden (in Westdeutschland) Ehen zwischen Katholiken und Protestanten als „Mischehen“ abgewertet, und es galt nicht als standesgemäß, dass ein Beamter eine Arbeitertochter heiratet.

Extreme „psychische Gegensätze“ sind absolut selten. Sieht man sich die Gegensätze genau an, so liegen sie vor allem im Bereich der „Außendarstellung“ (introvertiert und extravertiert) und der psychischen Stabilität.

Die Psychologie – konstruierte Gegensätze

Zunächst wäre dazu anzumerken: Es gibt in der Psyche keine deutliche Trennung zwischen „Schwarz“ = „ist gar nicht vorhanden“ und „Weiß“ = “ist im Übermaß vorhanden.“  Alle Eigenschaften liegen auf Skalen mit vielen Farben, und Menschen sind in der Regel flexibel genug, um sich auch aus der Situation heraus anders zu verhalten als sie „üblicherweise“ handeln würden.

Zudem enthalten Modelle dieser Art alle einen „Geburtsfehler“: Frühere Psychologen gingen davon aus, dass sich die „Persönlichkeit“ nach dem fünfundzwanzigsten, nach anderen Quellen nach dem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr ändert. Das ist insoweit Unsinn, als sich die Persönlichkeit im Erwachsenenalter durch kaum etwas stärker verändert als durch langjährige Liebesbeziehungen.

Willi wusste dies bereits 1975, also vor fast 45 Jahren. Er hatte unter anderem Rinald D. Laing gelesen und verstanden und schreibt kurz und bündig:

„Jeder erlebt und verhält sich als Persönlichkeit anders, je nachdem, mit welchem Partner er in Interaktion steht“  

Jürg Willi

Allein dieser eine Satz würde genügen, um das gesamte Kartenhaus „psychologischer Übereinstimmungen“ zu zerstören.

Was wir wirklich wissen – was dir nützt

Halten wir fest:

Es gibt mehr oder weniger Gleichheit zwischen Partnern. Manche Menschen legen viel Wert auf besonders feste Grundsätze und fordern Übereinstimmung ein. Andere lieben das Leben mit Improvisationen und Kompromissen. Der gesamte Rest der Liebenden liegt irgendwo dazwischen.

Gleichheit ist kein Gebot an sich, sondern kann in manchen Situationen von Vorteil sein. Ungleichheit bedeutet nicht, gegensätzlich zu sein. Se kann auch zur Ergänzung dienen und Synergien produzieren.

Ob wir uns als gleich, ähnlich, unterschiedlich oder gegensätzlich empfinden, hängt sehr davon ab, wen wir in welcher Situation treffen und ob wir bereit sind, uns mit ihm einzulassen.  

Hinweise: Unter anderem benutzte ich für diesen Artikel persönliche Gespräche und Recherchen im Rahmen meiner Arbeit als Redakteur der “Liebe Pur” mit Psychologen und Betreibern von Partnerbörsen. Besonders wichtig war auch das Buch von Jürg Willi, dazu verschiedene Werke von Ronald D. Laing sowie “Lob der Vernunftehe” von Arnold Retzer.

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