Liebe und Gehirnforschung

Zungenküsse sind Rückkoppelungen
Rückkoppelung über einen Zungenkuss

Wenn es um die Definition der Liebe, der Lust, der Leidenschaft und Sexualität geht, werden zwei Wissenschaften bei Weitem überschätzt: die Psychoanalyse einerseits und die Gehirnforschung andererseits. Doch während die Psychoanalyse von vornherein mit einem Gemenge von Annahmen, Behauptungen und minimalen Beweisen behaftet ist, glaubt die Gehirnforschung, Beweise für allerlei zu liefern, was im Umfeld der Liebe geschieht.

Was macht eigentlich ein Gehirn?

Dabei wäre zu trennen zwischen dem Gehirn als Organ, also den rein biologischen Funktionsbereichen und dem Gehirn als Träger grundlegender Säugetier- und Primateneigenschaften. Sodann wäre zu berücksichtigen, wie das Gehirn einerseits Gefühle erzeugt und sie andererseits (und wesentlich komplizierter) durch Rückkoppelung verarbeitet. Und schließlich müssten wie noch wissen, wie unser Gehirn all dies gedanklich erfassen kann. Denn es versucht das, was ich auch hier versuche: Recht schwach ausgeleuchtete menschliche Regungen in eine verständliche Sprache umzusetzen.

Gut, das wäre also die Aufgabe. Von Lösungen weit entfernt, glauben manche Gehirnforscher, sie könnten mithilfe der Magnetresonanztomografie wirklich feststellen, wie das Gehirn bei der Liebe funktioniert, was Journalisten dann gelegentlich zu solchen Vereinfachungen veranlasst:

(Die Liebe ist …) ein Leuchtmuster im Kernspintomografen, gemessen als Durchblutung bestimmter Hirnareale. Dazu gehört das Belohnungszentrum, das es in den vergangenen Jahren zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Es besteht aus Regionen, die den Neurotransmitter Dopamin ausschütten, der uns in Euphorie versetzt.

DIE ZEIT, 2015

Das klingt nun so, als sei schon alles klar: „Aha, da ist das Dopamin, das kann man sogar im Hirn aufleuchten sehen, und das macht, dass wir einander lieben.

Die schrecklichen Vereifacher

Diese „schrecklichen Vereinfacher“ finden wir überall. Wenn wir genau hinsehen, wissen wir zwar, was Dopamin eine körpereigene Droge ist, und wir können auch erfahren, was passiert, wenn große Mengen davon in die Blutbahn ausgeschüttet werden. Es gibt zudem weitere drogenähnliche Botenstoffe, wie beispielsweise das Oxytocin. In diesem Schaubild (englisch beschriftet) kann ungefähr abgelesen werden, was die Hirnforschung wirtlich weiß)

Solange wir behaupten: „Ein Stoff wirkt so und so …“, können wir die Liebe aber gar nicht erfassen. In Wahrheit wirken körpereigene Drogen wie andere Drogen auch: Sie versetzen uns in ein Glücksgefühl oder rauben uns die Angst. Sie sorgen nicht automatisch für den Durchbruch bei der Liebe, sondern begünstigen bestenfalls ihre Entstehung. Und wir dürfen nicht vergessen: Wenn wir das Prinzip „Drogensteuerung“ als Menschen umsetzen wollen, dann stehen zwischen der Wirkung der Botenstoffe und der Wollust oder dem Kuschel-Effekt noch zwei höchst unterschiedliche Persönlichkeiten. Wir haben eine Person, die begehrt, und eine, die begehrt wird. Beide haben Schranken und Hemmungen unterschiedlicher Art, und bei beiden muss dieses interne Schutzsystem erst einmal überwunden werden, bevor wir von „Liebe“ reden können.

Erst die Rückkoppelung löst Prozesse aus

Was völlig vergessen wird, ist zudem die Rückkoppelung: Der Botenstoff, der seine Wirkung entfalten will, verpufft beim psychisch gesunden Menschen, wenn er keine Resonanz findet. Löst er aber einen Prozess aus, dann werden völlig neue Szenarien wirksam. Nicht so theoretisch: Sollte es zu einer sinnesfrohen Übereinstimmung mit dem „Objekt der Lüste“ kommen, etwa einem Zungenkuss, werden weitere Wünsche ausgelöst, und die Begierde steigt.

Nein, der Kernspintomograf bildet die Liebe nicht ab. Es ist schlicht und einfach Blödsinn, ihn zur Erklärung der Liebe heranzuziehen. Das Einzige, was wir wirklich wissen müssen: Unser Gehirn sendet Drogen, wenn sich der Fortpflanzungstrieb zu Wort meldet. Und wie müssen lernen, damit umzugehen. Einem Teil von uns wird es leicht fallen, bei den meisten wird damit ein längerer Prozess angestoßen und ein kleiner Teil wird niemals lernen, sozial konform mit diesen Drogen umzugehen.

Was du im Alltag wissen musst

Für dich persönlich: Du kannst nichts dagegen tun, dass dein Gehirn dich mit Botenstoffen vollpumpt, die dich verwirren. Nimm es einfach hin und versuche, diese Zustände in dein Leben zu integrieren. Es ist ein natürlicher Prozess, und du musst lernen, damit umzugehen. Wehre dich nicht, sondern setze das, was die die Natur schenkt, möglichst verantwortlich, aber vor allem genussvoll um.

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