Liebe, Glück und Ehe

Die Ehe schließen …

Eine der herausragenden Möglichkeiten, Verzweiflung zu erzeugen, besteht daran, dass zwei sich zusammentun und heiraten, um gemeinsam glücklich zu sein.

Dr. Arnold Retzer, Paartherapeut

„Die Ehe“, so sagte mir einmal ein Standesbeamter, „ist eine sehr erste Sache.“ Er hatte damit zweifellos recht, denn sie ist eine Bindung, die Rechtsfolgen hat, ob man sie von einem Ehevertrag begleitet schließt oder einfach akzeptiert, was im Gesetzbuch steht. Das Ziel ist nahezu immer, die Ehe auf Lebenszeit einzugehen und nicht nur eine Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft zu bilden, sondern auch, um ein gemeinsames Glück aufzubauen. Und obgleich diesem Wunsch wenig entgegenzusetzen ist, warnen manche Eheberater nicht nur vor den enormen Erwartungen, die damit verbunden sind. Dabei riskieren Ehepaare, an der „Last der Totalverantwortung“ für das Glück zu zerbrechen. Und sie werden ständig von Veröffentlichungen aufgeheizt.

Von Glücksbringern umzingelt und verloren

Der bereits zitierte Arnold Retzer geht in die Offensive gegenüber einigen einer Kollegen und schreibt:

(Ehepaare) … sind von Ratgebern und therapeutischen Hilfsangeboten umzingelt, die beharrlich zum Selbstmanagement auffordern … dabei wird immer wieder vergessen, dass das Leben auch und vor allem geschieht. Es wird nur in Grenzen gestaltet – das Eheleben ohnehin.“

Dr. Arnold Retzer, Paartherapeut

Sodann geht Retzer auf den Begriff des Glücks ein und entdeckt einen wesentlichen Fehler in der heutigen Gesellschaftsordnung, die alles übertreibt und in allem das „Absolute“ sucht. Heute, so glaubt er, sei das Glück zu einer Pflicht geworden.  

Das Glück und die Liebe erhalten

Nicht nur Arnold Retzer hat sich damit beschäftigt. Eine überraschend große Anzahl von Wissenschaftlern hat sich des Themas angenommen und stellt die Frage: „Wie kann ich die Liebe erhalten und mit ihrer Hilfe glücklich werden?“ Der kanadische Psychologe und Beziehungsberater Yvon Dallaire ist einer von ihnen.

Ehekonflikte und die Suche nach Glück

Wie viele andere Wissenschaftler und Ehetherapeuten auch geht auch Yvon Dallaire von einem Paradox aus: Zwar wird die Ehe geschlossen, um miteinander glücklich zu werden. Aber schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass sie eher die Quelle zahlloser Krisen und Konflikte ist. Woraus sich ergibt: Die Ehe dient nicht dazu, glücklich miteinander zu werden, sondern sie ist eine Herausforderung. Er meint nun: Für unser eigenes Glück sind wir selbst verantwortlich und niemand sonst – auch unsere Partner nicht. Diese Einstellung weicht von der üblichen klassischen „Ehetherapie“ ab, in der behauptet wird, Paarkonflikte ließen sich durch Kommunikation lösen.

Unlösbare Konflikte lösen?

Folgen wir Yvon Dallaire, so sind die meisten Paarkonflikte emotional unlösbar. Das heißt, sie können auch durch Kommunikation („redet miteinander über …“) nicht gelöst werden. Allerdings lassen sie sich oft pragmatisch lösen. (Ich habe mein Geld, du deines, ich verbringe einen Teil meiner Freizeit ohne dich, und du auch. Ich reserviere mir Gedanken, die ich mit dir nicht teile, und du nimmst dir das gleiche Recht).

Ein glückliches Paar kann also Meinungsverschiedenheiten haben. Es sucht sein Glück im Gemeinsamen, nicht im Trennenden. Oder, mit Yvon Dallaire: Sie haben beschlossen, lieber glücklich zu sein als recht zu haben.

Ferner ist es gut und richtig, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, während Kritik am anderen sinnlos und unfruchtbar ist.

Das Glück wird neu definiert

Ähnlich sieht es Armand Lequeux, ein Gynäkologe und Sexualwissenschaftler aus Belgien – er fügt hinzu, wie wichtig Distanz und Nähe sind, und empfiehlt, niemals den langweiligen „goldenen Mittelweg“ zu suchen, sondern das Ausmaß an Nähe und Distanz zu variieren.

Zudem hat er festgestellt, dass die Freude am Glück des anderen noch wichtiger ist, als das eigene Glück, denn „Liebe ist eine tägliche Entscheidung.“  Sehr einfach formuliert  folgt daraus: Wenn du glücklich bist, macht mich das ebenfalls glücklich.

Das gegenseitige Begehren erhalten

Noch tiefer in die Paradoxie des Glücks taucht der Belgier Dirk De Wachter ein. Denn in Wahrheit lieben wir den andern nicht nur, er stört uns auch. Wir erkennen in ihm, das wir eben nicht so ideal und perfekt sind, wie wir zu sein glauben. Der andere erweist sich – auch langfristig – als anders. „Die Unerfülltheit der Liebe erhält unser Begehren lebendig und vertieft es wiederum“, schreibt er.

Daraus ergibt sich für ihn, dass eine lang andauernde Liebe auf einem Paradox beruht: Wir kennen den anderen nicht wirklich, wir verstehen ihn nicht tatsächlich, er bleibt lange Zeit (oder auf Dauer) geheimnisvoll und zumindest teilweise unberechenbar. Lassen wir ihm also die Freiheit, „unbekannt und fremd“ zu sein.

Wenn wir unvollständig übereinstimmen, erhöht diese die Spannung in der Liebe. Das Begehren bleibt erhalten.

Für dich – verlasse den Gedanken an das „große Glück“

Ich habe in diesem Artikel sehr bewusst mehrere Autoren zitiert.  Sie alle sind der Meinung, dass wir unser Glück nicht durch die Ehe finden, sondern dass wir für unser Glück und das Glück des Partners sorgen müssen. Alle Beiträge, die ich erwähne, sind  sind ein Gegenentwurf zur „totalen Harmonie“, die oftmals von Ehepaaren gefordert wird.

Die Beispiele zeigen, dass nicht alle Eheberater, Psychiater und Psychotherapeuten das Glück in der Harmonie sehen. „Eine Kultur, in der wir den anderen zum Abbild formen wollen, tötet das Begehren“, sagt Dirk De Wachter, der die Liebe vor allem als Leidenschaft sieht. Die drei anderen  Autoren haben eher den Alltag im Sinn und sehen einen Vorteil darin, mit Konflikten zu leben und dabei das Glück zu finden.

Allerdings ist für diese Form des Glücks ein gesundes Selbstbewusstsein nötig, und zwar von Anfang an. Es gibt so gut wie keine Ehe, in der nicht wenigstens einer der Partner versucht, am anderen „herumzuschrauben“. Der Gegenentwurf wäre: Ich bin glücklich, wenn du glücklich bist.

Geh am besten davon aus, dass du den einen  anderen Kompromiss im Zusammenleben eingehen musst, solange er nicht an deine persönliche Substanz geht.  

Noch etwas ist wichtig, falls man den Praktikern, die hier zu Wort kommen, folgen will: Wenn die Beziehung oder Ehe einseitig auf Harmonie und Glück ausgerichtet ist, kann dies zu Verdruss führen. Das liegt vor allem daran, dass wir dann ständig eine „künstliche Balance“ aufbauen müssen – und dies vor allem dann, wenn wir Paradoxien, Konflikte und Lösungen eigentlich in den Vordergrund stellen sollten.

Positive Illusionen sollten wir uns dennoch bewahren. Eine Ehe, die von der Liebe zueinander getragen wird, akzeptiert auch schmunzelnd die Schwächen der Partner.  Das meint nicht nur der als Erstes erwähnte Arnold Retzer. Nahezu jedes langjährige Ehepaar wird es euch sagen. Und ich sage es noch mit einem anderen Satz: Solange ich mich bei meinem Partner (meiner Partnerin) wohlfühle, solange macht sie mich glücklich.    

Quellen:  Internetbeiträge der Autoren, „The World Book of Love“, Köln 2013 und vor allem „Lob der Vernunftehe“ , Frankfurt 2009.

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